Das Folgende ist eine Erwiderung auf einen Kommentar von Artur_B im Heise-Forum zu einem Telepolis-Artikel. Angesichts der Tatsache, dass Leserkommentare bei Heise Online immer häufiger recht willkürlich zensiert werden, ist diese Veröffentlichung einfach nur ein Backup.
Mit Verlaub…
Artur_B schrieb am 07.08.2020 11:16:
Auf Dunja Hayali sind ungefragt ganz andere Gestalten zugetappt und haben sie zugetextet.
…aber wenn ich mich in der kommenden Bundesligasaison beim »Nordderby« zwischen Hamburger Sportverein und Hannover 96 in die Kurve mit den Hamburgern stelle und dort Menschen nach ihrer Meinung und nach ihren Kenntnissen zu Hannover 96 befrage, dann sind die Antworten, die ich erhalten werde, sehr leicht vorauszusehen. Man kann so etwas natürlich »Journalismus« nennen. Der »intellektuelle Nährwert« solcher Journalismussimulationen liegt jedoch auf Junkfood-Niveau und passt prächtig zu den auf Streit statt Austausch und Interessenausgleich gebürsteten Gossen-Polittalkshows der öffentlich-schrecklichen Anstalten.
Ich würde sagen, Gabys Gesprächspartner sind ziemlich unbedarft. Gewohnheitsmäßig gegen Einschränkung der Freiheitsrechte, meinen sie demonstrieren zu müssen. Aber eine Abwägung, dass nun eben Pandemie herrscht? Dazu sind die, wie auch sonst zu politischer Einschätzung, erkennbar nicht fähig.
Der größte Teil der Bevölkerng ist ziemlich unbedarft. Und nachdem der contentindustrielle Journalismus seit Jahrzehnten die Fragen nach dem »Warum?«, »Wer?«, »Wann?«, »Wo?«, »Auf welchem Hintergrund?«, »Mit welchem Ziel?« und »Mit welchem Ergebnis?« zu allen journalistisch vermeldeten Ereignissen sehr stiefmütterlich behandelt hat, um sich mit ganzem Elan und vielen Tintenklecksen der Frage »Wie fühlen sie sich?« zu widmen, die viel besser zur Reklamevermarktung passt, sind die Menschen eher dümmer als vor dreißig Jahren.
Ich habe in den letzten Monaten erwachsene Menschen durchschnittlicher Intelligenz erlebt (keine richtigen Idioten), die nicht an eine Pandemie glauben, weil… ja, weil ihnen eine Pandemie nicht gefällt. Die allmedial gestreute Saat des »positiven Denkens« aus der Vulgäresoterik der Siebziger Jahre mit Büchern wie »Denke nach und werde reich« ist voll aufgegangen. Menschen halten ihre Wunschvorstellungen für gleichwertig in der Wirkmacht wie die Wirklichkeit. Dass dabei oft dumpfer Faschismus herauskommt, ist für mich nicht so überraschend, das habe ich schon in den Achtziger Jahren angemerkt und damit meine Beliebtheit unter vielen meiner Mitmenschen drastisch reduziert.
Reich ist damals übrigens niemand vom »positiven Denken« geworden, aber einige hat diese dumme psychische Selbsteinlullung bis in die Klapsmühle gebracht oder auch in realitätsverneinende Sekten (auch mit christlichem Fundament) geführt, deren Weltbild klar rechts von der CSU liegt.
Das ist nun eben nicht harmlos, das sind genau die Kanäle, die die Attentäter von Christchurch, Pittsburgh, Hanau und Halle frequentierten. Genau das ist Kern der Sache: die Wahnwichtel sind die Rekrutierer für die Nazibewegung. Was mühelos erkennbar war, was von Gaby aber klein und schön geredet wird.
Wenn die Menschheit das 21. Jahrhundert überstehen will, muss sie es endlich lernen, allen Regungen der Psyche zu misstrauen. Das ist mit Unlust und mit intellektueller Tätigkeit verbunden. Beides wird zurzeit verachtet und verspottet. Es sieht schlecht aus.