Vor siebzehn Jahren

Don’t make a grown man cry
My eyes dilate, my lips go green
My hands are greasy
She’s a mean, mean machine

Rolling Stones: Start Me Up

Sicher, im Zusammenhang der Computertechnik sind siebzehn Jahre eine verdammt lange Zeit. Aber ich kann mich noch genau daran erinnern, wie Microsoft im späten Sommer des Jahres 1995 sein damals innovatives Betriebssystem Windows 95 eingeführt hat.

Natürlich habe ich es nicht gemocht. In erster Linie, weil es von Microsoft kam. Erst in zweiter Linie, weil es ein damals schon technisch veralteter grafischer Aufsatz auf MS/DOS war.

Aber selbst ich musste nach sehr kurzer Zeit eingestehen, dass Microsoft mit Windows 95 viele Dinge sehr richtig gemacht hat.

Das betraf vor allem die Benutzerschnittstelle. Wenn man frühere Versionen von MS Windows kennengelernt hat – bei mir fing dieses »Kennenlernen« mit Windows 2 an – war man vor allem über die durchschaubare Benutzerschnittstelle verblüfft. Das frühere Neben- und Durcheinander von Programm-Manager und Datei-Manager (oder gar in noch früheren Versionen: Die MS/DOS-Executive), das weder selbsterklärend noch offensichtlich war, wurde durch einen Satz sehr einfacher Konzepte ersetzt, die viel einfacher zu beherrschen waren. Diese waren vor allem der Start-Button zum Start von Anwendungen und der neue Windows-Explorer für die Dateibehandlung.

Sicherlich hatten auch diese Konzepte ihre Schwächen, über die ich gern gespottet habe. »Klicken sie auch morgen noch auf Start, um ihre Arbeit am Rechner zu beenden« war nur einer meiner ätzenden Sprüche.

Eine Microsoft-Entscheidung an Windows 95 verdient es jedoch in meinen Augen, dass man sich ihrer zurzeit noch einmal in ganz besonderer Weise erinnert. Vor allem im Hause Microsoft sollten sich die Entscheidungsträger noch einmal an einen der größten Erfolge ihrer Firmengeschichte erinnern – ein Erfolg, der wegweisend für über ein Jahrzehnt werden sollte.

Die Änderungen in der Benutzerschnittstelle zwischen Windows 95 und Windows 3.1 waren erheblich. Wer schon längere Zeit Windows benutzt hatte, musste für viele Aspekte der täglichen Computernutzung neue Reflexe erlernen. Sicher, die neuen Konzepte waren nicht einfach nur neu, sondern auch besser und reifer, aber dennoch ist zu erwarten, dass Menschen auf derart umfangreiche Änderungen der Benutzerführung mit Unmut reagieren – und zwar besonders diejenigen Menschen, die es gelernt haben, mit den älteren Konzepten effizient zu arbeiten.

Deshalb hat Windows 95 dem Benutzer große Wahlmöglichkeiten gegeben. Der alte Programm-Manager stand – genau wie der alte Datei-Manager – weiterhin zur Verfügung, ohne dass die gewohnte Bedienung an die neuen Konzepte angepasst wurde. Es ist Microsoft nicht schwergefallen, diese beiden Stücke bewährter Software auf das »neue« Windows zu portieren. Bei der Installation von Windows 95 konnte der Anwender entscheiden, welche der beiden Oberflächen er verwenden will. Es war möglich, Windows 95 zu betreiben, ohne einen Unterschied in der Bedienung zu bemerken und dennoch in den Genuss der Vorteile der neuen Windows-Version zu kommen. Erfahrene Anwender konnten dennoch neue Konzepte »nebenbei« erlernen und umsteigen, so bald sie sich dafür bereit fühlten.

Denn Microsoft hat im Jahre 1995 noch etwas von seinen Anwendern gehalten und zeigte ein deutlich sichtbares Interesse daran, den Bedürfnissen seiner Anwender so weit wie möglich entgegenzukommen.

Das war vor siebzehn Jahren.

In Sachen Computertechnik ist das eine Ewigkeit, und kaum jemand scheint sich heute noch daran zu erinnern. Vor allem nicht. Bei Microsoft.

Wir schreiben das Jahr 2012. Microsoft möchte Windows 8 vermarkten, eine neue Version seines Betriebssystemes, die vor allem durch eine radikal veränderte Benutzerführung auffällt. Die kachelige Metro-Oberfläche gefällt mir nicht, und ich kenne auch keinen anderen Menschen, der sie schon einmal gesehen hat und dem sie gefallen würde.

Es kann sein, dass Windows 8 mit vielen Verbesserungen daher kommt. Mein erster Eindruck der öffentlichen Beta-Version war gar nicht so schlecht, denn vor mir lag ein recht flottes und stabiles Windows. Leider hielt es mir eine Reihe großformatiger bunter Kacheln entgegen; versteckte viele seiner Bedienmöglichkeiten vor seinem Benutzer; sah hässlich und klobig aus; machte es zur Qual, nach der Installation einer neuen Software erstmal die dann überflüssigen Kacheln (wie diverse ReadMe-Dateien, Uninstaller etc.) so anzuordnen, dass man mit seinem Rechner effizient arbeiten konnte; machte es schwer, »Uninstall«-Kacheln dem Programm zuzuordnen, das damit deinstalliert werden sollte… ach, ich sage es am liebsten so derb, wie es mir auf den Lippen liegt: Es hielt mir einen riesengroßen Arsch entgegen. Noch absurder erscheint mir im Zeitalter der großformatigen, hochauflösenden Monitore die Entscheidung, auf das Konzept der überlappenden Fenster als optische Metapher für die gleichzeitig laufenden Anwendungen zu verzichten; eine Idee, die wesentlich besser zum Zeitalter des 640×480-Bildschirms gepasst hätte, in dem wirklich jeder Mensch seine Anwendungen maximiert laufen ließ.

Ein Mensch, der bereits Erfahrungen mit aktuellen und früheren Windows-Versionen gesammelt hat, muss beinahe alles neu lernen, wenn er mit Windows 8 arbeiten (oder rumspielen) will.

Ja, er muss. Es ist ein Zwang, der zusammen mit Windows 8 kommt. Es gibt nicht – wie damals vor siebzehn Jahren im Falle von Windows 95 – die Option, große Teile der alten Benutzerschnittstelle auszuwählen. Obwohl es für Microsoft keine besondere Schwierigkeit darstellen sollte, diese alte (im Marketing dann vermutlich als »klassische« bezeichnete) Schnittstelle an das kommende Windows anzupassen und den Anwender vor die Wahl zu stellen, ob er nicht zunächst mit vertrauteren Konzepten weiterarbeiten möchte. Der Käufer einer Version von Windows 8 bekommt einen buntgekachelten Arsch vorgesetzt, und es wird ihm abverlangt, dass er so demütig und bückgeistig ist, eine derartige Zumutung einfach hinzunehmen.

Was glauben die Entscheider bei Microsoft eigentlich, wie ein solches Auftreten bei den Menschen ankommt, die man damit zu Kunden machen will? Halten die Entscheider bei Microsoft ihr Produkt für unentbehrlich genug, dass sie glauben, damit durchzukommen? Wissen sie nicht, dass angesichts dieser Zumutung der Downgrade auf ein bedienbareres System wie der eigentliche Upgrade wirkt? Wissen sie nicht, dass die Menschen im Zeitalter des Internet Auswahl haben und dass das »bessere« (nicht »gute«, aber doch wenigstens nicht die Nutzer verachtende) Windows 7 mit Leichtigkeit gesaugt werden kann?

Wie lange es doch her ist! Vor gut siebzehn Jahren wusste es Microsoft besser. Heute glaubt man bei Microsoft, besseres Wissen durch einen halben Gigadollar Werbeetat ersetzen zu können.

Und Microsoft war damals schon… ach! 🙁

Dieses »Ach!« hat sich zumindest nicht geändert – es trägt heute den verlogenen Namen »Secure Boot« und ist ein Versuch, Computer mit monopolistischer Macht und Gewalt auf den Markt zu drücken, auf denen der Käufer nicht mehr beliebige Software installieren darf. Wie man am beklagenswerten Erfolg der so genannten »smart phones« sieht, ist das immerhin eine Entscheidung, die inzwischen von vielen Menschen einfach hingenommen werden könnte.

Ich kann jedenfalls angesichts der kommenden Zumutungen aus dem Hause Microsoft nur jedem Menschen eine beliebige Linux-Distribution mit Xfce als Desktop empfehlen – schließlich sind Computer für Menschen da und nicht umgekehrt.

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8 Antworten zu Vor siebzehn Jahren

  1. Hallo sagt:

    »Es ist ein Zwang, der zusammen mit Windows 8 kommt.«

    Hallo,
    haben Sie Windows 8 eigentlich ausprobiert, bevor Sie den Text geschrieben haben? Der alte Desktop existiert weiterhin, es ist lediglich ein Klick von Nöten. 😉

  2. Frank sagt:

    Jeder Klick mehr ist unzumutbar.
    Das ist kein Scherz, sondern Arbeitswissenschaft und Ergonomie.

    Ich hoffe, MS geht total Pleite bevor sie es fertig bringen, den Scheiss durchzudrücken.

  3. Hallo sagt:

    Immer diese großen Reden.
    Zum einen ging es mir darum, dass dieser Text nicht dem korrektem Journalismus entspricht, wenn man von Tatsachen redet, die man selbst gar nicht kennt.

    Das jeder Klick mehr nicht wünschenswert ist, ist eine ganz andere Baustelle. Aber auch in dem Bezug ist immer zu bedenken, welcher Klick »mehr« hier getätigt wird. Ob man jetzt anstatt einen Klick zum Login, zwei benötigt, oder ein vollkommen anderer Bereich betroffen ist. Keiner Zwingt sie Windows 8 zu nutzen, Sie haben doch die Wahl weiterhin bei Windows 7 oder XP zu bleiben, sofern Sie Windows nutzen?

    Aber auch das mit dem »total Pleite« kann eigentlich nur scherzhaft, oder nicht zuende-gedacht worden sein. Sofern MS pleite gehen würde, würde für jegliche Unternehmen, die weltweit ein MS-Produkt nutzen der Support wegfallen und verschiedene Dienste nicht mehr nutzbar sein. Ob man es daher wirklich »hoffen« sollte, dass MS »total pleite« geht, bezweifle ich. Oder auch welches OS sollten die Unternehmen im Endandwenderbereich umsteigen? Sollen sich jedes Sekretariat jetzt Unbuntu zulegen und auf Linux arbeiten, oder sollen die Arbeitsstellen generell wegfallen, und mehrere Personen weltweit Arbeitslos sein, weil die vorhandene Software nicht mehr nutzbar ist. Bspw. aufgrund von Sicherheitslöchern und Fehlern im Programm die nicht mehr geschlossen werden können?

    • Auch, wenn ich gewisse Kommentatoren am liebsten ohne weitere Stellungnahme so stehenlasse: Der Verschreiber »Unbuntu« gefällt mir so gut, dass ich eine lobend Antwort mit einem Smilie geben muss. 😀

  4. Pingback: Übrigens, Microsoft… | Elias Schwerdtfeger

  5. Wiesensohle sagt:

    »…dass Menschen auf derart umfangreiche Änderungen der Benutzerführung mit Unmut reagieren – und zwar besonders diejenigen Menschen, die es gelernt haben, mit den älteren Konzepten effizient zu arbeiten.«

    Ack!

    Die Erfinder dieser »Deppen-Desktops« wie Win 8, oder unter anderen BS, Unity oder Gnome3, möchte ich wochenlang foltern bevor ich sie pfähle!

    • […] Unity oder Gnome3 […]

      Zugegeben, das ist auch beides richtig übel. Ich habe gestern erst wieder an einem Rechner gesessen, auf dem ich mich mit Unity herumschlagen musste (es war nicht meiner), und es war wie Windows Acht für Linux. GNOME 3 habe ich mir einmal angeschaut und mich mit Grausen abgewandt, weil sie mir GNOME 2 (ein wirklich gut benutzbares Werkzeug) kaputtgemacht haben.

      Aber zum Glück haben wir Linuxer (und natürlich auch die richtigen Unix-User) die freie Auswahl unter den Desktops. 😉

      Wer hingegen mit Windows arbeiten will oder gar muss, der hat tapfer die Suppe auszulöffeln, die ihm irgendwelche Spezialexperten von Microsoft auf den Tisch verklappt haben – und kann sich bestenfalls mit ein paar Hilfsmitteln aus Drittquellen (wie etwa die für mich unter Windows unentbehrliche Classic Shell) den eigenen Computer wieder auf Benutzbarkeit umfummeln. Kranke microsofte Beglückungsideen wie die Ribbons kriegt man damit leider nicht weg, da muss man dann Anwendungen installieren, die nicht von Microsoft kommen… 🙁

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