Dieser Text ist aus einem Kommentar für »Unser täglich Spam« entstanden, der es in meinen Augen wert ist, hervorgehoben zu werden.
Ein im Auto eingebauter Airbag kann nicht die Vorsicht im Straßenverkehr ersetzen. Er kann nicht einmal den Unfalltod verhindern, nur unwahrscheinlicher machen.
Jeder, der die Behauptung aufstellte, dass ein Airbag ein Ersatz für Vorsicht und ein wirksamer allgemeiner Schutz gegen den Unfalltod ist, würde hoffentlich von jedem Inhaber eines handelsüblichen Gehirnes ausgelacht; und wenn er andere mit rhetorischen Tricks und der ausgewieften »Psychologie« eines Werbers von dieser Behauptung überzeugen wollte, würde er als gefährlicher Irrer angesehen.
Was Antivirus-Software betrifft, ist dieser für den davon Betroffenen und überdem für andere Menschen gefährliche Irrsinn die Regel.
Natürlich hinkt der Vergleich.
Denn ein Airbag unterscheidet sich in drei Punkten vom Antivirus-Programm.
Erstens ist der Schaden durch eine Übernahme eines Computers durch eine Schadsoftware nicht ganz so unumkehrbar. Im schlimmsten Fall gibt es ein bis zwei Jahre unerfreulichen Schriftverkehr mit Banken, Rechtsanwälten, Staatsanwälten, man lernt ein paar Untersuchungsrichter kennen, denen man seine Geschichte erzählt und man hat am Ende einen finanziellen Schaden von einigen tausend Euro, weil die eigene Identität, ein paar Accounts und die Internetleitung für betrügerische Geschäfte aller Art, Sabotage durch DDoS-Attacken, die Verbreitung illegaler Pornografie und manipuliertes Online-Banking missbraucht wurden. Das ist ziemlich scheiße, aber es ist deutlich verschmerzbarer als der Tod.
Zweitens ist beim Airbag die technische Funktion auch für Laien völlig klar und verständlich. Bei der plötzlichen Abbremsung des Autos durch einen Aufprall wird ein Luftkissen in Lenkradhöhe binnen drei hundertstel Sekunden mit Druckluft gefüllt, um gefährliche, oft tödliche Kopfverletzungen zu reduzieren. Es ist möglich, die genaue Funktion zu spezifizieren, und der dadurch gegebene Zuwachs an Sicherheit ist quantifizierbar und einer vernünftigen Untersuchung zugänglich. Es ist ja auch nicht so, dass sich ein Airbag manchmal »einfach nur so« öffnet, sondern es ist völlig klar, bei welcher physikalischen Einwirkung er aktiviert werden sollte. Nichts davon gilt äquivalent für Antivirus-Software.
Und drittens ist es nicht so, dass der Einbau eines Airbags einem Auto irgendwie schadet, zu nennenswerten zusätzlichem Spritverbrauch führt oder gar dazu führen kann, dass das Auto auf einmal gar nicht mehr funktioniert. Antivirus-Software hingegen reißt nennenswerte Ressourcen des Computers an sich, führt durch ständig laufende, aufwändige Hintergrundprozesse zu einem höheren Energieverbrauch (wie hoch ist wohl die zusätzliche Treibhausgas-Belastung durch Antivirus-Programme?) und hat in der Vergangenheit immer wieder einmal dazu geführt, dass Komponenten des Betriebssystems als Schadsoftware erkannt wurden, so dass der Rechner nicht mehr funktionierte – und wenn es nicht ganz so schlimm kam, dann wurden immer wieder einmal zu Unrecht harmlose Websites als angebliche Schadsoftware-Schleudern blockiert oder TCP/IP funktionierte mal nicht mehr. Letzteres ist ja in der Tat ein ganz wirksamer Schutz, fast so wirksam wie eine Enthauptung gegen Kopfschmerz…
Das ist eben der Unterschied zwischen quantifizierbarer, erklärbarer und untersuchbarer Sicherheit und einer eher psychologischen »gefühlten Sicherheit«, mit der man Software verkaufen will.
Ich müsste zu diesem Thema eigentlich viel mehr schreiben, aber schon diese Kürze macht hoffentlich fühlbar, warum ich ein gewisses Urteil über diese Gattung Software fälle und Antivirus-Programme zugegebenermaßen unsachlich als »Schlangenöl« bezeichne. Meine Unsachlichkeit ist nichts weiter als meine zunehmende Genervtheit über eine Dummheit, die durch verdummende Reklame und eine dümmliche Presse vorangetrieben wird.
Wenn die nicht näher quantifizierbare »teilweise« oder »zusätzliche« Sicherheit der Antivirus-Software zur »eigentlichen Computersicherheit« erhoben und immer wieder als ganz wichtig und wesentlich dargestellt wird; wenn naive, technisch nicht ganz so kenntnisreiche Anwender durch diese mediale und werbende Präsentation dazu verleitet werden, sorg- und gedankenlos zu werden und sich auf den Zauber unverstandener (und zu allem Überfluss: geheimgehaltener) Methoden zu verlassen – tja, dann ist dieses technoquacksalberische Schlangenöl tatsächlich ein Beitrag dazu, dass sich das »Geschäft« der organisierten Kriminalität im Internet auch in zehn Jahren noch lohnen wird. Und damit sich das auch wirklich niemals ändern kann, kommt hinzu, dass das funktionierende »Geschäft« der organisierten Internet-Kriminalität gleichzeitig das von Angst und Unkenntnis vieler Menschen angetriebene Geschäft der Antivirus-Unternehmen ist.
Denn alle diese Unternehmen wären ziemlich schnell bankrott, wenn den Menschen sichere Software und sichere Betriebssysteme zur Verfügung stünden – und wenn die Menschen alle wüssten, wie man sich selbst vor Angriffen mit Schadsoftware schützen kann.
Das, was alle diese Unternehmen zu bekämpfen vorgeben, ist nicht mehr und nicht weniger als die Grundlage ihres Reibachs. Kein Wunder, dass die Ergebnisse so bescheiden sind.
Man kann es auch anders vergleichen: im Auto würde niemand auf die Idee kommen, während der Fahrt die Augen zu schließen und darauf zu hoffen, dass aufgrund der Sicherheitstechnik »schon nichts passiert«. Wie der bekannte Wohnmobilfahrer in den USA, der seinen Camper auf Tempomat einstellte und dann nach hinten ging sich einen Kaffee zu machen.
Auch aus dem Englischen kommen der Begriff der End-of-pipe Lösung, sprich es wird nicht die eigentliche Ursache bekämpft und Prävention betrieben, sondern mit enormem energetischen Aufwand wird versucht allein die unangenehmen Folgen zu beseitigen.
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