Xubuntu: Oneiric Ocelot wird Precise Pengolin

Problemloser Update

»Genaues Gürteltier« – was haben die denn geraucht?! 😉

Eines muss ich Canonical aber neidlos lassen: Der Update auf eine neue Version der… ähm… leicht und ohne spezielle Vorkenntnisse einsetzbaren Linux-Distribution Ubuntu verläuft erfreulich problemlos. Die Aktualisierungsverwaltung unter Ubuntu 11.10 meldet, dass die neue Ubuntu-Version 12.04 verfügbar ist, der Anwender klickt auf die Schaltfläche neben der Meldung, und der Vorgang läuft automatisch ab. Sicher, den größten Teil davon hat Canonical nicht selbst programmiert, sondern aus der Paketverwaltung von Debian GNU/Linux übernommen, die sowieso die Beste ihrer Art ist – aber selbst beim (seltenen) Update einer Debian-Distribution traten zumindest bei mir hinterher immer wieder einmal Probleme auf, die an meinen Basteltrieb appellierten.

Aber das Gürteltier – in meinem Fall allerdings in der Geschmacksrichtung Xubuntu, weil ich die jüngsten GUI-Beglückungsideen in Form von Gnome 3 und Unity gar nicht mag – lief nach dem Update einfach. Die einzige Anpassung, die ich hinterher machen musste, war die Wiederherstellung meiner vorher angegebenen Paketquellen (das kann man zum Beispiel aus synaptic heraus machen, man kann aber auch direkt die Dateien im Verzeichnis /etc/apt/sources.list.d bearbeiten). Das Installationsprogramm für Precise hatte hier natürlich einen definierten Zustand hergestellt, damit auch sicher die richtigen Pakete heruntergeladen werden. Zur Erleichterung des Vorganges werden die Paketquellen nur auskommentiert. Ein »typischer« Ubuntu-Anwender wird allerdings – im Gegensatz zu mir – kaum eine zusätzliche Paketquelle eintragen. Die kleine Vorkehrung im Installationsprogramm für die neue Version der Distribution entlastet auf jeden Fall die Supportforen von schwierig identifizierbaren Fehlerquellen und ist daher verständlich, zumal man auch durch einen Dialog darauf hingewiesen wird.

Nicht immer geht alles automatisch

Der Download der neuen Pakete und der anschließende Upgrade ziehen sich natürlich etwas hin. Wer glaubt, dass man währenddessen etwas anderes machen könne und alles von allein laufe, hat sich eventuell getäuscht, da nach dem Download (genauer: beim preconfigure) und während der abschließenden Konfiguration der Pakete die eine oder andere Dialogbox zu behandeln ist, wenn man selbst Hand an die Konfigurationsdateien einiger Pakete gelegt hat. Genau wie bei Debian, dessen Mechanismen Ubuntu ja zugrunde liegen, wird niemals eine vom Nutzer veränderte Konfigurationsdatei automatisch durch die Defaults der Paketverwalter überschrieben. Auch dies ist eine Sache, die einem »Nur-Anwender« tendenziell nicht begegnen wird.

Der gute erste Eindruck

Nach dem gesamten Vorgang, der zumindest mir nicht so viel Vertrauen einflößt, als dass ich nicht vorher die wichtigsten Dateien auf einem anderen Datenträger sichern würde, bootet der neue 3.2er-Kernel ohne Auffälligkeiten und nach der gewohnten Anmeldung steht der Xfce-Desktop zur Verfügung, der meiner Meinung nach im Moment der beste und brauchbarste Linux-Desktop ist. Ich bin einfach zu alt für sinnlosen Spielkram geworden, und ich weiß auch Besseres mit meinem Leben anzufangen, als alle paar Monate neue Metaphern für die Bedienung eines Computers zu lernen und neue Reflexe zu entwickeln. Gut, dass man als Linuxer viel Auswahl hat! 😉

Obwohl ich beim Update zu meinem Entsetzen las, dass auch ein Python 3.2 installiert wird, wird weiterhin Python 2.7 als Standard verwendet, so dass ich um die Anpassung etlicher meiner jeden Tag benutzten Skripte noch einmal herumkam. Da die großen Distributoren immer noch nicht auf Python 3 umsteigen, werde ich auch mein Wpcmd noch nicht an das neue Python anpassen.

Kleine Kinderkrankheiten

Natürlich hat Precise Pengolin trotz des alles in allem erfreulichen Gesamteindrucks ein paar »Kinderkrankheiten«, die vermutlich in den nächsten Tagen mit Updates behoben werden. Eigentlich gibt es nur eine derartige Krankheit, die einem »Nur-Anwender« auffallen kann, und das sind die Abstürze des Programmes zenity. Das ist ein Kommandozeilenprogramm, das in vielen Skripten für die Darstellung von grafischen Dialogen verwendet wird. Früher hat man dafür das mittlerweile etwas angestaubte xdialog benutzt. Es sollte an sich keine besondere Herausforderung für die Paketpacker bei Canonical sein, diese »very simple software« so zu compilieren, dass sie auch läuft. Ich habe mal den Test gemacht, den Quelltext verschafft und compiliert…

Eine mit Zenity erzeugte Fehlermeldung

…und keine Probleme ausmachen können. Der Text der abgebildeten Meldung enthüpfte natürlich meinem etwas schrägen Sinn für Humor. :mrgreen:

Die Kinderkrankheiten des lustigen Gürteltierchens zeigen sich vor allem in Paketen, die nicht zu einer Standardinstallation gehören. Wer etwa beim Programmieren auf alle jüngeren IDE-Beglückungsideen dankend verzichtet und aus Gewohnheit GNU Emacs verwendet und ihn wie gewohnt aus einem Terminal startet, sieht…

Screenshot eines Terminal-Fensters unter Ubuntu Precise mit massenhaften Emacs-Warnungen

…bei jedem einzelnen Tastendruck eine Warnung. Das ist mein bisheriger Rekord an Fehlermeldungen mit Ubuntu. [Dank an P. für den Hinweis darauf. Jetzt aber schnell C-X C-C.]

Was der Ubuntu-Anwender nicht sehen soll

Immerhin scheint Canonical eine Entscheidung getroffen zu haben, dass die Nutzung gewisser Software nicht mehr erwünscht ist – und diese kleinen Nachlässigkeiten bei inzwischen uralter Software passen gut in diesen Eindruck. Das Software-Center – immerhin der von Canonical so sehr vorgesehene Weg, Software zu installieren, dass synaptic bei einer Standardinstallation gar nicht mehr mitinstalliert wird¹ – bietet inzwischen keine Programme mehr für die Kommandozeile an. In früheren Versionen wurden diese nach einem expliziten Klick auf den Link »Technische Dateien anzeigen« zur Installation angeboten, heute werden sie vor der Nutzergemeinde vollständig verborgen. Nicht, dass noch jemand merkt, was man mit einem Linux so alles anfangen kann, wenn man erst einmal damit anfängt, automatisierbare Arbeiten vom Computer erledigen zu lassen…

Ich bin jedenfalls gespannt darauf, was Canonical in zukünftigen Versionen noch alles vor seinen Anwendern verstecken wird.

Abschließendes

Für Menschen, die einfach nicht wünschen, dass ein Desktop alle Ressourcen des Computers an sich reißt; für Menschen, die keine Lust haben, mit jeder flüchtigen Mode ein paar neue Reflexe bei der Bedienung eines Computers zu lernen, nur weil gerade alles an die als »chic« empfundenen Bedienmetaphern der smart phones und pads angepasst wird; für Menschen, die einige Aufgaben mit einem Computer erledigen wollen, ohne dass sie dabei von Effektheischerei und unausgegorenen Konzepten abgelenkt und abgehalten werden – für alle diese Menschen ist Xubuntu durchaus erwägenswert. Vor allem, wenn sie nur wenig Lust dazu verspüren, vieles von der Funktionsweise ihres Betriebssystems verstehen zu lernen; wenn sie sich wünschen, dass alles direkt nach der Installation in gewünschter Weise läuft und auch ein bisschen »peppig« aussieht, ohne damit zu nerven. Der Xfce ist wesentlich konfiguierbarer als der Unity-Desktop und verwendet vielen Menschen inzwischen (nach anderthalb Jahrzehnten Microsoft Windows als dominierendem Desktop-Betriebssystem) sehr vertraute Bedienkonzepte wie ein Startmenü für installierte Anwendungen, eine Fensterliste für laufende Anwendungen, konfigurierbare Leisten für Widgets und bequeme Schnellstarts der installierten Anwendungen, Menüs, die unter der Titelleiste eines Fensters zu finden sind und einen Desktop, der einfach nur einen Verzeichnisinhalt darstellt und deshalb auch dazu taugt, aktuell in Arbeit befindliche Dateien darauf abzulegen, um bequemen Zugriff darauf zu haben.

Diese Zurückhaltung in der zurzeit meist fragwürdigen »Modernisierung« der Benutzerschnittstelle verbindet sich allerdings mit einer Kollektion aktueller und guter Freier Software. Für »Nur-Anwender« durchaus eine ideal aussehende Kombination. Weil die Dinge, die viel zu schön aussehen, um wahr zu sein, einfach nicht wahr sind, hier noch eine kleine Warnung: Leider ist es mit Ubuntus Ansatz der Benutzerführung oft nicht gerade trivial, auftretende Probleme selbst zu beheben. Und leider hat Ubuntu besonders häufig Probleme mit unüblicher oder etwas älterer Hardware. Eine von einem Speicherstick gebootete Live-Distribution kann vor der Installation eventuelle Probleme aufzeigen.

Wer allerdings auf Linux umsteigt und den Anspruch hat, etwas über dieses System zu lernen (und sich mit diesem sehr leistungsfähigen System seine Aufgaben am Computer zu erleichtern), ist generell mit Ubuntu eher schlecht bedient. Zu vieles im »Unterbau« ist unschön und schwer verständlich. Ich empfehle Menschen mit solchem Anspruch Debian GNU/Linux. Wer Ubuntu schon ein bisschen tiefer kennengelernt hat, wird sich mit Debian schnell wohlfühlen, denn Ubuntu ist eine aufgeppte (und dies Wort sei mir hier gestattet: den Geschmacksnerv überreizende, gleichermaßen versalzene wie überzuckerte) Debian-Distribution.

Das Gute an Linux ist, dass es Auswahl gibt.

¹Wer keine Angst davor hat, einmal zu sehen, was wirklich in seiner Distribution steckt, tippe in einem Terminal sudo apt-get install synaptic und rufe nach der Installation »Synaptic-Paketverwaltung« im Menü »System« auf. Da ist natürlich auch eine Menge veraltetes Zeug dabei, und vieles, was nur für spezielle Zwecke taugt. Aber wenn es genau das ist, was man gerade braucht, freut man sich trotzdem drüber. Ohne solche Pakete wie sox und ffmpeg könnte ich jedenfalls nicht leben…

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